Struktur, Semiotik und Dynamik - ein Überblick über Aspekte
und Methoden der Modellierung und mechanischer Aggregate

Christian Bauckhage, Hannes Rieser, Bernhard Jung und Ian Voss
Thematik
Im Konstruktionsszenario des SFB 360 bilden Objektaggregate den Kern vieler Fragestellungen und müssen aus verschiedensten Perspektiven betrachtet werden: Für den Instrukteur sind Aggregate ein Plaungsproblem. Er muß eine Sequenz auszuführender Konstruktionsschritte festlegen oder gegebenenfalls eine eigentlich vorgesehene Reihenfolge modifizieren. Der Konstrukteur hingegen nimmt Aggregate vor allem als Zwischenschritte eines Konstruktionsprozesses wahr; für ihn sind sie Resultate von Manipulationen, die der Instrukteur in seinen Montageanweisungen vorgibt. Im kooperativen Dialog zwischen Instrukteur und Konstrukteur erproben Aggregate ausßerdem die Lernfähigkeit des Konstruteurs. Versucht dieser Instruktionssequenzen zu antizipieren, kann der Konstruktionsverlauf beschleunigt werden. In dieser Hinsicht kommt Aggregaten darüberhinaus eine wichtige semantische und pragmatische Rolle zu. Durch Einführung neuer Bezeichnungen für komplexe Objekte werden intrinsische Orientierungen etabliert, die die Dialogpartner zur Koordination nutzen, so daß sich folgende Konstruktionsanweisungen weniger umständlich formulieren lassen. Im Rahmen der technischen Realisierung eines künstlichen Kommunikators stellt die Einführung von Aggregatsbenennungen natürlich auch ein Problem der Spracherkennung und -verarbeitung dar. Ferner tauchen Aggregate als zu erkennende Strukturen in Bildsignalen auf, so daß bestehende Zusammenhänge zwischen erkannten verbalen oder gestischen Bezeichnungen und in Bildern gefundene Strukturen ermittelt werden müssen. In der Simulation von Konstruktionsprozessen mit VR-Techniken stellt die Rekonstruktion physikalischer Eigenschaften dynamisch erzeugter Aggregate ein entscheidendes Problem dar. Sowohl in virtuellen als auch in raalen Montageumgebungen müssen semantische Aspekte behandelt werden, da sich die Frage stellt, ob und wann ein Aggregat als Modell eines realen Gegenstandes, d.h. als Instanz eines Konzepts, zu sehen ist. Schließlich erweisen sich Aggregate im Hinblick auf die physikalische Manipulation durch einen Roboter auch als ein Problem der Griffs- und Trajektorienplanung.

Die Realisierung eines kooperativen, künstlichen Kommunikators in einer Konstruktionsdomäne erfordert also, geeignete Formalismen zur Repräsentation mechanischer Aggregate bereit zu stellen, die all den aufgeführten Aspekten situierter, flexibler Montage gerecht werden. Schwierig erscheint dabei vor allem die integrierte Behandlung der verschiedenen Modalitäten, zumal es weltweit weinig andere Projekte gibt, die sich ähnlichen Fragen widmen und somit kaum auf Ergebnisse früherer Arbeiten zurückgegriffen werden kann. Allerdings sind einige der oben genannten Aspekte nicht nur bei der Entwicklung eines künstlichen Kommunikators von Interesse, sondern stellen auch gängige Probleme aus den Bereichen der robotischen Montage und der Automatisierungstechnik dar.

Tatsächlich blickt die Erforschung und Entwicklung intelligenter Montageroboter mittlerweile auf eine lange Tradition zurück. Bereits 1975 stellten Ambler et al. [2] ein situatives System vor, das - mit kognitven Fähigkeiten ausgestattet - in der Lage war, einfache Spielzeugobjekte in einer nicht normierten Montageumgebung zu komplexeren Aggregaten zusammenzusetzen. Nur wenig später haben Nevins und Whitney [70] erstmals systematisch untersucht, welche Kriterien die automatische Planung von industriellen Konstruktionsprozessen zu erfüllen hat und welche Anforderungen an entsprechende Repräsentationstechniken gestellt werden müssen. Seit diesen frühen Arbeiten sind die computergestützte Modellierung und Planung der Aggregierung einzelner Objekte Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen, die hauptsächlich durch wirtschaftliche Fragestellungen motiviert sind. Dementsprechend finden die bisher entwickelten Verfahren ihren Einsatz vor allem in industriellen CAD- und CAM/CIM-Systemen.

Auch wenn die Planung und Montage von Aggregaten nur ein kleines Teilgebiet der Forschung zur künstlichen Intelligenz abdeckt, ist die Vielzahl der in den letzten Jahren hierzu publizierten Arbeiten nur noch schwerlich überschaubar. Der folgende Überblick erhebt deswegen keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr sollen nur einige mittlerweile als Standard geltende Techniken sowie Ansätze mit einschlägigem Bezug zu den im SFB 360 behandelten Problemen kurz skizziert werden. Da diese Übersicht aus Literaturstudien, die sich an Fragen des B1 Projekts orientieren, resultiert, werden Ergebnisse aus den Gebieten der Griffs- und Trajektorienplanung nicht mit aufgeführt, obwohl diese für einige Teilprojekte des SFB von großem Interesse sind. Daher sei auf weitere zusammenfassende Darstellungen über Forschungen zur Thematik der Aggregatmodellierung, Griffs- und Trajektorienplanung hingewiesen, die sich in [35, 29, 39, 98] und in den Tagungsbänden der IEEE Conference on Robotics and Automation sowie des IEEE Symposiums on Assembly and Task Planning finden.

Im folgenden wird zunächst definiert, was in der Literatur gemeinhin unter "mechanischen Aggregaten" verstanden wird und welche Untereinheiten komplexer Objekte unterschieden werden. Im Abschnitt 3 werden dann verschiedene gängige Methoden zur Repräsentation mechanischer Aggregate beschrieben und Ergebnisse zur mathematischen Komplexität dieser Methoden aufgeführt. Techniken zur automatischen Beobachtung bzw. zur Simulation von Konstruktionsprozessen sind Gegenstand des vierten Abschnitts. Der Bezug der dort vorgestellten Arbeiten zur Thematik des SFB 360 wird anschließend ersichtlich, denn in Abschnitt 5 werden Arbeiten, die sich im Rahmen des SFb mit Fragen der Aggregierung auseinandersetzen, dargestellt. Dies sind insbesondere Arbeiten aus den Teilprojekten B1, B3 und C1, so daß wor allem Methoden zur visuellen Aggregaterkennung, zur Beschreibung von Metonymien für komplexe Objekte, zur dynamischen Konzeptualisierung im Verlauf von Konstruktionsprozessen sowie zur Aggregaterkennung anhand prototypischer Formcharakteristika vorgestellt werden. Ein Vergleich der in den einzelnen Teilprojekten entwickelten Ansätze und Techniken und eine Zusammenfassung beschließen diesen Report.


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Anke Weinberger, 2001-04-10, 2002-01-10