Universität Bielefeld  ----- GK

4. Fachtagung der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft KogWis99
Tagungsbericht von Annekatrin Klopp und Annette Lessmöllmann, Hamburg


zurück zur KogWis99 Hauptseite

Vom 28.9. - 1. 10.99 war Bielefeld Veranstaltungsort für die 4. Fachtagung der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft. Die 1994 gegründete GK beheimatet deutschsprachige Kognitionswissenschaftler aus den Disziplinen Psychologie, Linguistik, Informatik, Philosophie und den Neurowissenschaften. Die Fachtagungen sollen die verschiedenen Disziplinen zusammenführen und insbesondere ein Forum für interdisziplinäre Beiträge bieten, um eine eigenständige Interdisziplin zu schaffen.

Die KogWis99 verfolgte diese Ziele gewinnbringend: 44 Beiträge wurden geschickt in 10 disziplinenübergreifende Sektionen aufgeteilt, in denen fruchtbare Diskussionen stattfanden. Interdisziplinarität bedeutet auch, die Beiträge auf ein breites Publikum auszurichten: Besonders die Neulinge auf kognitionswissenschaftlichem Terrain zeigten sich beeindruckt, wieviel Information und Anregung für die eigene Arbeit dies hervorbringt.

Die 181 Teilnehmer konnten neben den parallelen Sektionen an fünf eingeladenen Hauptvorträgen und drei Workshops teilnehmen, zudem wurden 18 Poster präsentiert.

Der GK-Nachwuchspreis wurde an Peter Gerjets (Universität des Saarlandes) für seinen Beitrag zur Hypertext-Navigation verliehen; der KI/Kognitionspreis der Fachgruppe Kognition des Fachbereichs KI der Gesellschaft für Informatik ging an Thorsten Hansen (Universität Ulm) für seine Arbeit zu einem robusten Modell der Kontur-Extraktion.

Hauptvorträge

Ursprung und Erwerb der Sprache sowie die adäquate Beschreibung der menschlichen Sprachkompetenz beschäftigten zwei der Plenarvorträge. Luc Steels (Universität Brüssel und SONY Paris) vertrat die These, dass die Bedeutung von Worten weder angeboren ist noch durch Abstraktion von Beispielen gelernt wird. Vielmehr würde sie selbstorganisierend in einem Sprachspiel entstehen. Er stellte eine Simulation dieses Spiels vor: Seine "Talking Heads" sind situierte Roboter, die sich über eine Welt aus Formen auf einem Bildschirm verständigen und ohne vorgegebenes Lexikon oder Konzeptsystem eigene Worte und Konzepte finden. Das Experiment könne neue Impulse für die jahrtausendealte Frage nach Onto- und Phylogenese der Sprache liefern.

Ray Jackendoff (Brandeis Universität, Massachusetts/derzeit Fellow Wissenschaftkolleg Berlin) stellte einige Dogmen der Generativen Linguistik, wie sie sich seit den Arbeiten von Chomsky in den 60er Jahren etabliert haben, in Frage und forderte, dass die theoretische Linguistik sich stärker an Psycholinguistik und Neurowissenschaften annähern müsse. Dazu gehöre u.a., dass nicht nur die Sprachkompetenz, sondern auch die Sprachverarbeitung in die Theorien einbezogen werden müsse. An Chomskys These der Angeborenheit grammatischer Prinzipien hielt er im Gegensatz zu Steels jedoch dezidiert fest.

Christof Koch (CalTech) vertrat seine mit Francis Crick gemeinsam postulierte Hypothese, dass es ein neuronales Korrelat des Bewusstseins gibt. Dabei argumentiert er dafür, dass manche Gehirnfunktionen unbewusst "wie bei einem Zombie" ablaufen. Andere wiederum sind bewusst; hierzu gehört beispielsweise die visuelle Wahrnehmung eines Gesichts aus einer Perspektive. Experimente mit Primaten legen den Schluss nahe, dass die neuronalen Korrelate dieser bewussten Wahrnehmung identifizierbar sind.

Marcus Spies (IBM Deutschland/Universität Heidelberg) sprach über die Relevanz der Kognitionswissenschaft für innovative Audio-Anwendungen und Medien. Der bislang amtierende Vorsitzende der GK votierte dafür, dass der Bereich der auditiven Wahrnehmung sowohl in der Erforschung der kognitiven Prozesse als auch in der Anwendung gestärkt werden sollte: Er sei von ebenso grosser praktischer Bedeutsamkeit wie die visuelle Wahrnehmung, wofür er zahlreiche Beispiele gab.

Tagungsleiter Ipke Wachsmuth (Bielefeld) sprach über komfortable Schnittstellen, bei denen die Eingabe über Gestik und gesprochene Sprache erfolgt. Die Koordination von Gestik und Sprache erfolgt bei der Wahrnehmung über gemeinsame Rhythmen; diese Erkenntnis der Gestenforschung wird für die technische Konstruktion von Schnittstellen mit multimodalen Eingaben genutzt. In dem von Wachsmuth geleiteten Projekt SGIM (Sprach und Gesten- Interfaces für Multimedia) wird gestische und sprachliche Kommunikation in einem Szenario des virtuellen Konstruierens zusammengeführt.

Sektionsvorträge

Die Sektion "Sprache" führte Beiträge zur inkrementellen Sprachrezeption, zur Sprachproduktion, zur Analyse von Bewegungsverben und zur Verarbeitung ungrammatischer und ambiger Sätze zusammen. Letzterer legte einen Implementierungsvorschlag vor und folgte damit dem Tagungstrend, die Anwendungsseite herauszustellen.

In "Sprache und Emotion" trafen sich Beiträge aus Sprachproduktionsforschung, Neurolinguistik und Neurowissenschaft und - überraschend und informativ - Sportwissenschaft: Er beschäftigte sich damit, dass Experten im Gegensatz zu Novizen Bewegungswissen, das sie beim Extremsurfen erwerben, besser versprachlichen (obwohl kein Fachvokabular zur Verfügung steht).

Die Sektion "Sprache und Dialog" gab unterschiedliche Antworten auf die Frage, inwieweit situativer Kontext die Interpretation sprachlicher Ausdrücke bestimmt.

Die Sektion "Konzepte" untersuchte u.a. in welchen Modulen oder Schichten konzeptuelle Repräsentationen vorliegen und wie dynamische Konzeptrepräsentationen aufgebaut werden können.

Die Sektion "Raum" behandelte Aspekte der multimodalen Raumwahrnehmung, die Optimierungen von Schematischen Karten sowie die Integrierung von unvollständigem räumlichen Wissen in Modellen mentaler räumlicher Repräsentation.

Der Gewinner des GK-Nachwuchspreises (Gerjets) behandelte in der Sektion "Multimedia" Probleme bei der Navigation im Hypertext. Weitere anregende Beiträge aus dem Bereich führten zu einer lebhaften Diskussion.

Im Block "Vision" beschrieb der Gewinner des KI- / Kognitions- Preises (Hansen) ein Modell zur robusten Konturwahrnehmung, das weitgehend unabhängig von störenden Einflüssen arbeitet, und das durch neurophysiologische Daten bestätigt wird.

In der Sektion "Handlung" wurde ein Entscheidungsmodell vorgestellt, das mit verzögerter stochastischer Belohnung arbeitet. Desweiteren wurde über Sprachinstruktionen bei der Roboternavigation gesprochen.

"Problemlösen" behandelte basierend auf empririschen Untersuchungen u.a., wie Menschen kognitiv aus "Sackgassen" herauskommen, in die sie z.B. bei der Lösung einer Knobelaufgabe geraten, sowie, welche kognitiven Strategien generell bei der Lösung solcher Aufgaben angewendet werden.

Die Sektion "Lernen" behandelte Modellierungen (z.B. zum visuellen Lernen von bildkategoriellem Wissen) und den Vergleich von Modellierungen zum kategoriellen Lernen. Lernen wird oft als ein Problem der Wissensrepräsentation angesehen. Ein Beitrag war dagegen ein Beispiel für den Trend, Lernmodelle zu verfolgen, die bislang als behavioristisch verworfen wurden.

Workshops

Der Workshop "Kausalität" wurde von M. May (GMD) und U. Oestermeier (Universität Tübingen) geleitet. Kausalität spielt im menschlichen Denken eine wichtige Rolle, so auch in der Forschungstätigkeit: Mit Interesse aufgenommen wurde der Beitrag von G. Grasshoff (Bern) über ein Experiment bezüglich kognitiver Prozesse bei Forschungsaktivitäten: Er berichtete von Astronomen, die hochkomplexe Daten operationalisieren müssen, und untersuchte dabei die Rolle von kausalen Schlüssen.

T. Metzinger (UC San Diego) und A. K. Engel (MPI Hirnforschung) leiteten den sehr gut besuchten Workshop "Bewusstsein". Die lebendige Atmosphäre ergab sich aus dem Spannungsfeld zwischen neurowissenschaftlichen und (neuro-) philosophischen Beiträgen. So wurde z.B. über die molekularen und neurophysiologischen Werkzeuge zur Identifizierung neuronaler Korrelate des Bewusstseins gesprochen.

Im Workshop Embodied Mind/Artificial Life (K. Dautenhahn, Reading; F. di Primio, GMD) wurde diskutiert, inwieweit Kognition von Körperlichkeit abhängt: Braucht Kognition einen handelnden Körper, der seine Umwelt beeinflusst und von ihr beeinflusst wird? Ausserdem wurde diskutiert, an welchem Punkt Kognition beginnt - "haben Bakterien Kognition", lautete die provokante Frage aus der Biologie, die auf das augenscheinlich intelligente Verhalten von Bakterien hinwies.

Fazit

Die KogWis99 war eine Tagung, die durch das besondere Engagement ihres Ausrichters von einer angenehmen, erwartungsvollen und innovativen Grundstimmung getragen wurde. Dadurch wurde auch die Bereitschaft, sich mit teilweise ungewöhnlichen neuen Projekten auseinander zu setzen, verstärkt und die Basis für das Zusammenwachsen der kognitionswissenschaftlichen Disziplinen über disziplinäre Grenzen hinweg geboten.

Ipke Wachsmuth selbst zeigte sich sehr zufrieden und machte einen neuen Trend in der Kognitionswissenschaft aus, der sich bei der KogWis99 abzeichnete: "Weg von der tastenden Beschreibung hin zu harten Modellen auf der Grundlage von reproduzierbarem Computerverhalten."

Die Proceedings erschienen im infix-Verlag (Ipke Wachsmuth, Bernhard Jung (Hrsg.) KogWis99. Proceedings der 4. Fachtagung der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft. ISBN 3-89601-014-X) und werden (demnächst) im Netz zugänglich sein.

Annekatrin Klopp, Annette Lessmöllmann
{klopp, lessmoellmann}@informatik.uni-hamburg.de
Universität Hamburg
Graduiertenkolleg Kognitionswissenschaft
Vogt-Kölln-Strasse 30, 22527 Hamburg
Tel. 040/42883-2211, -2381


Timo Sowa, 1999-12-06