Universität Bielefeld Universität Bielefeld - Technische Fakultät - AG Wissensbasierte Systeme

C. Bauckhage, H. Rieser, B. Jung und I. Voß:
Struktur, Semiotik und Dynamik -
ein Überblick über Aspekte und Methoden der Modellierung mechanischer Aggregate.

SFB 360 Report 01/01, Universität Bielefeld.

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Abstract:

Im Konstruktionsszenario des SFB 360 bilden Objektaggregate den Kern vieler Fragestellungen und müssen
aus verschiedensten Perspektiven betrachtet werden: Für den Instrukteur sind Aggregate ein Plaungsproblem.
Er muß eine Sequenz auszuführender Konstruktionsschritte festlegen oder gegebenenfalls eine eigentlich
vorgesehene Reihenfolge modifizieren. Der Konstrukteur hingegen nimmt Aggregate vor allem als Zwischenschritte
eines Konstruktionsprozesses wahr; für ihn sind sie Resultate von Manipulationen, die der Instrukteur in
seinen Montageanweisungen vorgibt. Im kooperativen Dialog zwischen Instrukteur und Konstrukteur erproben
Aggregate ausßerdem die Lernfähigkeit des Konstruteurs. Versucht dieser Instruktionssequenzen zu antizipieren,
kann der Konstruktionsverlauf beschleunigt werden. In dieser Hinsicht kommt Aggregaten darüberhinaus eine
wichtige semantische und pragmatische Rolle zu. Durch Einführung neuer Bezeichnungen für komplexe Objekte
werden intrinsische Orientierungen etabliert, die die Dialogpartner zur Koordination nutzen, so daß sich
folgende Konstruktionsanweisungen weniger umständlich formulieren lassen. Im Rahmen der technischen
Realisierung eines künstlichen Kommunikators stellt die Einführung von Aggregatsbenennungen natürlich auch
ein Problem der Spracherkennung und -verarbeitung dar. Ferner tauchen Aggregate als zu erkennende Strukturen
in Bildsignalen auf, so daß bestehende Zusammenhänge zwischen erkannten verbalen oder gestischen Bezeichnungen
und in Bildern gefundene Strukturen ermittelt werden müssen. In der Simulation von Konstruktionsprozessen mit
VR-Techniken stellt die Rekonstruktion physikalischer Eigenschaften dynamisch erzeugter Aggregate ein
entscheidendes Problem dar. Sowohl in virtuellen als auch in raalen Montageumgebungen müssen semantische
Aspekte behandelt werden, da sich die Frage stellt, ob und wann ein Aggregat als Modell eines realen
Gegenstandes, d.h. als Instanz eines Konzepts, zu sehen ist. Schließlich erweisen sich Aggregate im Hinblick
auf die physikalische Manipulation durch einen Roboter auch als ein Problem der Griffs- und Trajektorienplanung.

Die Realisierung eines kooperativen, künstlichen Kommunikators in einer Konstruktionsdomäne erfordert also,
geeignete Formalismen zur Repräsentation mechanischer Aggregate bereit zu stellen, die all den aufgeführten
Aspekten situierter, flexibler Montage gerecht werden. Schwierig erscheint dabei vor allem die integrierte
Behandlung der verschiedenen Modalitäten, zumal es weltweit weinig andere Projekte gibt, die sich ähnlichen
Fragen widmen und somit kaum auf Ergebnisse früherer Arbeiten zurückgegriffen werden kann. Allerdings sind
einige der oben genannten Aspekte nicht nur bei der Entwicklung eines künstlichen Kommunikators von Interesse,
sondern stellen auch gängige Probleme aus den Bereichen der robotischen Montage und der Automatisierungstechnik
dar.

Tatsächlich blickt die Erforschung und Entwicklung intelligenter Montageroboter mittlerweile auf eine lange
Tradition zurück. Bereits 1975 stellten Ambler et al. [2] ein situatives System vor, das - mit kognitven
Fähigkeiten ausgestattet - in der Lage war, einfache Spielzeugobjekte in einer nicht normierten Montageumgebung
zu komplexeren Aggregaten zusammenzusetzen. Nur wenig später haben Nevins und Whitney [70] erstmals systematisch
untersucht, welche Kriterien die automatische Planung von industriellen Konstruktionsprozessen zu erfüllen hat
und welche Anforderungen an entsprechende Repräsentationstechniken gestellt werden müssen. Seit diesen frühen
Arbeiten sind die computergestützte Modellierung und Planung der Aggregierung einzelner Objekte Gegenstand
intensiver Forschungsbemühungen, die hauptsächlich durch wirtschaftliche Fragestellungen motiviert sind.
Dementsprechend finden die bisher entwickelten Verfahren ihren Einsatz vor allem in industriellen CAD- und
CAM/CIM-Systemen.

Auch wenn die Planung und Montage von Aggregaten nur ein kleines Teilgebiet der Forschung zur künstlichen
Intelligenz abdeckt, ist die Vielzahl der in den letzten Jahren hierzu publizierten Arbeiten nur noch schwerlich
überschaubar. Der folgende Überblick erhebt deswegen keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr
sollen nur einige mittlerweile als Standard geltende Techniken sowie Ansätze mit einschlägigem Bezug zu den im
SFB 360 behandelten Problemen kurz skizziert werden. Da diese Übersicht aus Literaturstudien, die sich an Fragen
des B1 Projekts orientieren, resultiert, werden Ergebnisse aus den Gebieten der Griffs- und Trajektorienplanung
nicht mit aufgeführt, obwohl diese für einige Teilprojekte des SFB von großem Interesse sind. Daher sei auf
weitere zusammenfassende Darstellungen über Forschungen zur Thematik der Aggregatmodellierung, Griffs- und
Trajektorienplanung hingewiesen, die sich in [35, 29, 39, 98] und in den Tagungsbänden der IEEE Conference on
Robotics and Automation sowie des IEEE Symposiums on Assembly and Task Planning finden.

Im folgenden wird zunächst definiert, was in der Literatur gemeinhin unter "mechanischen Aggregaten" verstanden
wird und welche Untereinheiten komplexer Objekte unterschieden werden. Im Abschnitt 3 werden dann verschiedene
gängige Methoden zur Repräsentation mechanischer Aggregate beschrieben und Ergebnisse zur mathematischen Komplexität
dieser Methoden aufgeführt. Techniken zur automatischen Beobachtung bzw. zur Simulation von Konstruktionsprozessen
sind Gegenstand des vierten Abschnitts. Der Bezug der dort vorgestellten Arbeiten zur Thematik des SFB 360 wird
anschließend ersichtlich, denn in Abschnitt 5 werden Arbeiten, die sich im Rahmen des SFb mit Fragen der Aggregierung
auseinandersetzen, dargestellt. Dies sind insbesondere Arbeiten aus den Teilprojekten B1, B3 und C1, so daß wor allem
Methoden zur visuellen Aggregaterkennung, zur Beschreibung von Metonymien für komplexe Objekte, zur dynamischen
Konzeptualisierung im Verlauf von Konstruktionsprozessen sowie zur Aggregaterkennung anhand prototypischer
Formcharakteristika vorgestellt werden. Ein Vergleich der in den einzelnen Teilprojekten entwickelten Ansätze und
Techniken und eine Zusammenfassung beschließen diesen Report.

A. Kranstedt, 16.07.2003